Die 10 Gebote des sicheren Radfahrens

  1. Du fährst ein Fahrzeug.
  2. Sehen und gesehen werden - in der Reihenfolge.
  3. Fahre möglichst nicht auf Radwegen.
  4. Gehwege sind tabu.
  5. Nutze den Dir zustehenden Raum auf der Straße.
  6. Nebenstrecken sind problematischer als Hauptstraßen.
  7. Fahre eindeutig und berechenbar.
  8. Fahre nach außen offensiv, aber innerlich defensiv.
  9. Keine Minderwertigkeitskomplexe.
  10. Überprüfe regelmäßig Dein Fahrrad.

  1. Du fährst ein Fahrzeug.

    Fahre so, wie Du beispielsweise auch Auto fahren würdest (oder mit jedem anderen Fahrzeug) - sicher und kompetent. Das faßt schon fast alles Nachfolgende in einem Satz zusammen.

    Autofahrer haben die meisten der von Radfahrern genannten Probleme nicht. Sie machen sie sich einfach nicht.

  2. Sehen und gesehen werden - in der Reihenfolge.

    Behalte immer selbst den Überblick über das Verkehrsgeschehen, um Fehler anderer ausbügeln zu können. Das geht auf der Fahrbahn einfacher als auf Radwegen, auf denen wesentlich mehr und komplexere Eindrücke zu beachten sind.

    Fehlendes Umschauen beim Abbiegen, Einbiegen, Queren und Wenden ist der häufigste Fehler von Radfahrern, der zu Unfällen mit anderen führt. Umschauen ist ausgesprochen wichtig. Hören kann zwar eine angenehme Unterstützung sein, aber verlassen solltest Du Dich nie darauf. Nicht alle Verkehrsteilnehmer sind laut, und das Gehör kann leicht auch mal täuschen. Hören kann nie Schauen ersetzen.

    Fast genauso wichtig, wie selbst zu schauen, ist gesehen und von anderen wahrgenommen zu werden. Besonders Zweiradfahrer werden aufgrund ihrer schmaleren Silhouette leichter übersehen. Hierzu gehört sichtbar (Gebot 5 und 6), deutlich und offensiv zu fahren und Radwege, auf denen Du außerhalb der auf die Fahrbahn konzentrierten Wahrnehmung bist, zu meiden.

    Eigene, gute Beleuchtung bei Dämmerung und Dunkelheit sorgt dafür, daß Du selbst siehst und gesehen wirst. Auf Reflektoren kannst Du Dich nicht verlassen. Sie funktionieren nur unter günstigen Umständen, insbesondere nur wenn fremdes Licht aus der richtigen Richtung auf sie fällt; manche sind praktisch ganz nutzlos.

  3. Fahre möglichst nicht auf Radwegen.

    Mehrere Untersuchungen zeigen, daß man auf Radwegen unsicherer als auf der Fahrbahn daneben fährt. Bauliche Mängel, geringe Breiten, häufige Kurven sind oft offensichtliche Mängel. Die Führung von Fahrzeugen rechts neben anderen Fahrzeugen, die möglicherweise abbiegen, schafft jedoch zusätzliche, meist verborgene Gefahren. Das Gefühl der Sicherheit auf Radwegen trügt.

    Meide Radwege, soweit möglich, und wenn Du auf ihnen fahren mußt, dann nur mit besonderer Vorsicht. Besondere Gefahrstellen bilden jede Kreuzung, Einmündung, schon jede Ein- und Ausfahrt. Aber auch sonst sind die Gefahren vielfältiger: Hindernisse, schlechter Belag, Verschmutzungen oder einfach übersehen zu werden sind dort wesentlich häufiger als auf der Fahrbahn.

    Besonders gefährlich sind linksseitige Radwege. Auf ihnen bist Du noch mehr außerhalb der auf die Fahrbahn und auf Rechtsverkehr konzentrierten Wahrnehmung. Nur in Ausnahmefällen können sie die sicherere Variante bilden (Beispiel: wenn eine kurze Strecke auf der linken Seite zwei Querungen der Fahrbahn erspart).

  4. Gehwege sind tabu.

    Nicht nur, weil Fahren auf Gehwegen zu Lasten der Fußgänger geht und Unfälle mit ihnen fördert. Auch Deine eigene Sicherheit ist gefährdet, wenn Du diese Radwege zweiter Klasse benutzt. Andere Verkehrsteilnehmer rechnen noch weniger mit Radfahrern auf Gehwegen als mit Radfahrern auf Radwegen.

    Selbst zum Ausweichen oder Überholen solltest Du Gehwege nicht mißbrauchen. Häufig genug führt das zu Mißverständnissen und Unfällen, an denen dann auch fast immer der ausweichende Radfahrer schuld ist.

  5. Nutze den Dir zustehenden Raum auf der Straße.

    Radfahrer haben rechts zu fahren. Das heißt aber nicht, daß Du Dich an den äußersten rechten Rand verziehen sollst. Zulässig ist bis zu einem Meter Abstand vom rechten Fahrbahnrand. Diesen Platz sollst Du auch der jeweiligen Situation angepaßt ausnutzen. Ein erster Anhalt für die richtige Position auf der Fahrbahn ist oft die Stelle, wo Autos mit den rechten Rädern entlangfahren. Zu parkenden Fahrzeugen ist ein Mindestabstand von einem Meter vorgeschrieben. Ebenso mußt Du zu Gehwegen einen deutlichen Sicherheitsabstand einhalten.

    Die Erfahrung zeigt, daß Du i.a. selbst mit umso mehr Seitenabstand überholt wirst, je mehr Abstand Du nach rechts läßt. Und Du hast in den anderen Fällen Platz zum Ausweichen, ohne dazu in den Straßengraben stürzen zu müssen.

    Durch die Wahl der Position auf der Straße kannst Du weitgehend selbst bestimmen, wann und wo Du überholt wirst. Ein kleiner Schlenker nach links kann anderen bedeuten "hier nicht", während schon ein winziges, auch nur angedeutetes Ausweichen nach rechts (häufiger Fehler unsicherer Radfahrer) bei vielen Fahrern den Überhol-Reflex auslöst.

    Leicht schwankende Fahrweise wiederum wirkt unsicher und erhöht tendenziell den Überholabstand. Wo aber das und deutlicher Abstand vom Fahrbahnrand allein nicht hilft, an dieser Stelle gefährdendes Überholen zu unterbinden, solltest Du in der Mitte der Fahrspur fahren und diese "dicht machen". Auch das stellt ein zulässiges Fahrverhalten dar und ist weder eine Behinderung, noch ein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot.

    Ähnliches gilt für den Gegenverkehr an Engstellen. Wer zu früh zu viel Platz macht, muß damit rechnen, daß der Gegenverkehr an der Engstelle die Geschwindigkeit nicht reduziert. Wer zeigt, daß er viel Platz braucht, der zeigt auch, daß hier eine Begegnung mit hoher Geschwindigkeit nicht möglich ist.

  6. Nebenstrecken sind problematischer als Hauptstraßen.

    Nebenstrecken sind häufig kurvenreicher als Hauptstraßen, schlechter überschaubar und schmaler. Was Du auf ihnen durch die geringere Zahl von Kraftfahrzeugen gewinnst, machen die riskanteren Fahrweisen (Schnellfahren und Überholen trotz mangelnder Sicht) wieder wett. Auch wirst Du dort schlechter gesehen und weniger erwartet; wo weniger Fahrzeuge unterwegs sind, wird weniger aufgepaßt.

    Die Streckenführung und die Fahrbahnbeschaffenheit ist tendenziell schlechter als auf Hauptstrecken ("gut ausgebaut" ist nicht nur ein Qualitätsurteil für Straßen von Kraftfahrzeugen). Baustellenabsicherung, Reinigung, Schneeräumen findet seltener oder später statt. Bei einem Unfall bekommst Du durch die geringere Zahl anderer Verkehrsteilnehmer schlechter Hilfe, besonders bei Dunkelheit. Sogar unbefahrene landwirtschaftliche Wege, Feld-, Wald- und Radwanderwege sind in dieser Hinsicht eine bedenkliche Alternative, gerade weil die bei Radfahrern überwiegenden Alleinunfälle (Stürze) durch ihren Zustand gefördert werden.

    Oft aber kann eine Nebenstrecke ohne Radweg sicherer sein als eine Hauptstraße mit Radweg, gar mit linksseitigem Radweg. Radwege sind die gefährlichsten Nebenstrecken.

  7. Fahre eindeutig und berechenbar.

    Andere sollen Dich sehen und auch Deine Absichten einschätzen können. Plötzliche, unangekündigte Richtungswechsel verbieten sich von selbst. Abbiegen, Anhalten, Spurwechsel und andere Fahrmanöver gehören angekündigt und berechenbar gestaltet. Drücke Dich nicht zum Abbiegen erst lange am rechten Fahrbahnrand herum, um dann plötzlich in einer Lücke von dort nach links zu schwenken, sondern kündige Deine Absicht rechtzeitig an, schaue Dich um, ziehe schon mal etwas nach links, ordne Dich an geeigneter Stelle zur Mitte ein und biege von dort ab. Dies nur als ein Beispiel, wie man einen häufig zu beobachtenden Fehler vermeiden kann.

    Zum Ankündigen von Fahrabsichten kann ein Handzeichen hilfreich sein. Vorgeschrieben ist es nicht, in manchen Situationen sogar gefährlich, besonders wenn zur Bremsbereitschaft beide Hände am Lenker bleiben sollen. Beim eigentlichen Abbiegen sind immer beide Hände am Lenker. Angekündigt hast Du das Abbiegen bereits vorher; für andere eindeutig ist es schon durch das Einordnen.

  8. Fahre nach außen offensiv, aber innerlich defensiv.

    Zum deutlichen Fahren gehört auch, nicht zu schnell zurückzustecken. Wer nach rechts ausweicht, wird noch mehr und mit noch geringerem Abstand überholt. Wer vor Kreuzungen bremst oder zögert, dem wird die Vorfahrt oft genug genommen. Nach außen hin muß Dein Fahrverhalten bestimmt, offensiv, die Rechte einfordernd wirken.

    Gleichzeitig aber rechnest Du damit, daß das nächste Auto Dir die Vorfahrt nimmt oder doch noch überholt. Darauf bist Du eingestellt. Du kannst es durch die eingehaltenen Sicherheitsmaßnahmen (Umschauen, Position auf der Fahrbahn) ausgleichen. Innerlich fährst Du defensiv.

    Du nimmst Rücksicht, besonders auf Schwächere (Kinder, ältere Leute, ...), und fährst in kritischen Situationen entsprechend angepaßt, insbesondere mit angepaßter Geschwindigkeit.

  9. Keine Minderwertigkeitskomplexe - Du bist der Verkehr.

    Du bist selbst Teil des Verkehrs und hast die gleichen Rechte (und Pflichten) wie die anderen Verkehrsteilnehmer. Insbesondere ist auch Dein Anliegen, voran und ans Ziel zu kommen gleichwertig den Wünschen anderer. Du mußt nicht vor anderen zurückstecken. Du behinderst mit dem Fahrrad andere genauso viel oder so wenig, wie sie Dich, und weit weniger, als würdest Du durch Autofahren selbst zum Stau beitragen.

    Auch die Angst vor überholenden Kraftfahrzeugen ist ein Teil dieses Minderwertigkeitsgefühls. Die Unfalldaten zeigen, daß sie objektiv unbegründet ist. Sie entsteht aus der subjektiven Überschätzung von Gefahren, von denen man meint, auf sie keinen Einfluß zu haben. Dabei kannst Du selbst diese Situation in gewissen Grenzen beeinflussen. Ein Rückspiegel kann helfen, Ängste abzubauen.

  10. Überprüfe regelmäßig Dein Fahrrad.

    ... oder laß es eine Fachwerkstatt tun. Wichtig sind v.a. Bremsen, funktionierende Beleuchtung, keine Schwächen in strukturtragenden Teilen (Rahmen, Gabel, Lenker, ...), einwandfreier Antrieb, aber auch die sichere Befestigung von Schutzblechen, falls vorhanden, weil sie die Räder blockieren können.

    Überprüfe auch Dein Fahrverhalten. Paß’ auf, daß Nachlässigkeiten, wie z.B. Hinhören anstatt Hinzuschauen, nicht einreißen. Übe gelegentlich zu günstigen, verkehrsarmen Zeiten kritische Fahrsituationen, wie Vollbremsung oder Ausweichen, aber rechne nicht damit, sie im Grenzfall auch zu beherrschen. Eine Sicherheitsreserve sollte Dir bleiben.


Hintergrundinformation:

Radfahren ist sicher, sicherer als Autofahren.

Bezogen auf die Zeit, die man sich im Straßenverkehr aufhält, ist Autofahren etwa 1,5-mal gefährlicher als Radfahren. Und das, obwohl Autofahrer von besonderen Schutzeinrichtungen, wie beispielsweise kreuzungsfreien Straßen profitieren, während Radfahrer auf minderwertige Wege geschickt werden. Selbst das Unfallrisiko radfahrender Kinder liegt maximal beim Doppelten des Durchschnitts aller Radfahrer und damit noch unter dem für diese Altersgruppe ebenfalls erhöhten Risiko im Auto.

Dennoch, Unfälle passieren. Die gefährlichsten Situationen beim Radfahren sind Queren, Wenden, Abbiegen und Einbiegen, die daher eine besondere Aufmerksamkeit erfordern. Es überwiegen Unfälle an Kreuzungen vor denen auf der Strecke.

Am allerhäufigsten sind es Alleinunfälle (Stürze). Wichtig ist deswegen alles, was diese Unfälle verhindert, angefangen von einer guten Fahrbahnbeschaffenheit über den technischen Zustand des Fahrrads bis hin zur Vorsicht in besonderen Situationen (z.B. Straßenglätte). Bei den übrigen Unfällen sind die häufigsten Unfallgegner Fußgänger, Radfahrer und schließlich Autos und Lkw. Bei der Unfallschwere lautet die Reihenfolge genau andersherum.

Radfahrer sind zwar in den wenigsten Fällen Verursacher dieser Unfälle, aber ihre Fahrfehler tragen dazu bei. Hier sei besonders auf Fehler beim Ein- und Abbiegen sowie Vorfahrtsverstöße hingewiesen, die die häufigsten unfallträchtigen Fehler darstellen.

Nichtsdestotrotz: Radfahren ist die sicherste Art individueller Fortbewegung im Straßenverkehr.


Die 10 Gebote des sicheren Radfahrens gibt es auch als PDF-Faltblatt zum Ausdrucken.


Bernd Sluka mit Dank an alle, die an diesem Text mitgeholfen haben:
Grischa Begaß,
Jochen Bern,
Werner Icking †,
Matthias Matzen,
Marco Oetken,
Ralph Sontag,
Wolfgang Strobl,
Martin Trautmann,
Urs Vollmer

1999-01-14 (© Bernd Sluka), letzte Änderung 2006-11-25
Dieser Text darf frei kopiert, gelinkt und verbreitet werden, solange er vollständig, unverändert und unter Angabe der Autoren zitiert wird.


zum Seitenanfang  zur Homepage