Sicher auf Radwegen?

Die Meinung "Radwege sind sicher!" ist weitverbreitet, so weit verbreitet, daß sie schon fast keiner mehr hinterfragt, sondern stillschweigend davon ausgeht. Dabei gibt es eine ganze Reihe von Untersuchungen, die dieses Dogma widerlegt haben.

Die Bundesanstalt für Straßenwesen bietet einige Publikationen zu dem Thema. Der Bericht zum Forschungsprojekt 8952 Sicherung von Radfahrern an städtischen Knotenpunkten enthält Untersuchungen ausgewählt "guter" Radwege an befahrenen innerörtlichen Hauptverkehrstraßen: Er klammert bewußt besondere Problemfälle wie linksseitige Radwege, Radwege, die in beiden Richtungen befahren werden dürfen und Radwege, auf denen auch Fußgänger erlaubt sind, aus und betrachtet nur Radwege, die Mindestkriterien an Breite, Gestaltung und Übersichtlichkeit aufweisen. Dennoch sind die dort vorgestellten Ergebnisse eindeutig: Die Unfallgefahr an Kreuzungen wird durch Radwege vervielfacht, beispielsweise an Kreuzungen ohne Lichtzeichenanlagen (Ampeln) rund verfünffacht. Durch aufwändige bauliche Maßnahmen (Aufpflasterung der Radwegfurt) läßt sich die Sicherheit verbessern; die Radwege sind dann "nur noch" doppelt so gefährlich, als auf der Fahrbahn mit dem Rad zu fahren.

Ein weiterer Bericht Verkehrssichere Anlage und Gestaltung von Radwegen geht vorwiegend auf Unfälle zwischen Kreuzungen ein. Auch dort erweisen sich Radwege im Mittel nicht als unfallreduzierend. Es kann bestenfalls ein Gleichstand und eine Verlagerung auf andere Unfalltypen festgestellt werden. Insbesondere dominieren beim Fahren auf der Fahrbahn Unfälle zwischen Radfahrern und ruhendem Verkehr, die sich durch entsprechenden Sicherheitsabstand zu parkenden Fahrzeugen erheblich verringern ließen. Die einfache Maßnahme, Radfahrern zu empfehlen, Abstand nach rechts zu halten, würde das Fahren auf der Fahrbahn nochmals deutlich sicherer machen.

Zusammengefaßt läßt sich feststellen, daß innerörtliche Radwege selbst an den Straßen, wo sie aufgrund der hohen Verkehrsdichte als "notwendig" angesehen werden, die Unfallgefahr erheblich erhöhen. Dies gilt insbesondere auch für "qualitativ hochwertige" Radwege, die Baurichtlinien entsprechen. Durch normgerechte Ausführung läßt sich also kein "sicherer Radweg" erreichen. Zusätzliche Risiken, wie linksseitiger Radverkehr, Querungen, um Radwege zu erreichen, Fußgänger auf Radwegen oder einfach die verbreiteten Baumängel erhöhen das Unfallrisiko nur zusätzlich.

Einige der Ergebnisse dieser beiden Berichte und weiteres zum Thema Radverkehrssicherheit habe ich als Bilder abgelegt, die man ausgedruckt gut als Vortragsfolien verwenden kann.

Weitere Quellen

Da wäi;re noch das Ergebnis einer Untersuchung aus Dänemark (Bach/Rosbach/Jørgensen), das in einer vom Bundesminister für Verkehr herausgegebenen Studie zitiert wird. Es ist ein vorher-nachher-Vergleich von innerörtlichen straßenbegleitenden Einrichtungsradwegen (105 Strecken mit 64 km Gesamtlänge über 3 Jahre), also nicht einmal die besonders gefährlichen auch linksseitig zu befahrende Zweirichtungsradwege. Während der Untersuchung hat die Radverkehrsdichte nicht zugenommen.

Unfälle auf Strecken an Knotenpunkten
vorher nachher vorher nachher
Fahrrad insgesamt 46 - 49 71 / 105
Fahrrad - Kfz 29 \ 19 55 / 82
Fahrrad - andere 17 / 30 16 - 23
Moped insgesamt 23 - 32 23 / 38
Moped - Kfz 12 - 13 19 - 20
Moped - andere 11 / 19 4 / 18
Fußgänger insgesamt 32 - 43 43 - 56
Fußgänger - Kfz 28 - 24 35 - 40
Fußgänger - andere 4 / 19 8 / 16
Kfz insgesamt 108 - 108 169 / 213
Kfz - Kfz 28 - 34 53 - 66
Kfz - andere 80 - 74 116 / 147
Gesamtzahl 134 - 154 187 / 251
vorher: ohne Radweg
nachher: mit Radweg
Bewertung (aus der Untersuchung):
- keine Änderung
\ Rückgang
/ Anstieg

Dann gibt es die Erkenntnisse der Berliner Polizei von 1986, nach der auf den Straßen mit Radwegen dort fast die Hälfte der Radfahrerunfälle stattfanden. Der Anteil dieser Straßen war aber nur 18%. Auch die Unfallschwere war auf den Straßen mit Radwegen höher. Wenn man nun noch die Verkehrszählung des Senats zu Rate zieht, stellt man fest, daß auch pro Strecke (eine nicht ganz saubere Bezugsgröße, weil Risiko pro Zeit gemessen wird) das Unfallrisiko auf den Radweg-Straßen dreimal so hoch ist.

Von 1981 bis 1985 stieg die Zahl der Unfälle auf den Radweg-Strecken dort um 114%; in den anderen Straßen sank sie um 9%. Die Länge der Radwege hat in diesem Zeitraum aber nur um 20% zugenommen, die Zahl der Radfahrer kaum.

Die systematische Zählung der Radunfälle wurde daraufhin in Berlin eingestellt. Dennoch gibt es weiterhin ähnliche Ergbnisse aus Berlin. U.a. kann man in der Zeitschrift Radzeit des Berliner ADFC festgestellt, daß dort 75% aller schweren und tödlichen Abbiegeunfälle beim Radfahren auf Radwegen registriert werden, obwohl nur 10 Prozent der Berliner Straßen einen Radweg besitzen.

Ähnliche Ergebnisse gibt es (habe ich nicht nachgeprüft) in München, Hannover und Braunschweig.

Vergleicht man z.B. Göttingen und Osnabrück, stellt man fest: Beide Städte sind etwa gleich groß. Osnabrück hat etwa dreimal so viele Radwege (nach der Länge gemessen). Der Radverkehr ist in Osnabrück geringer. Bezogen auf die Zahl der Fahrradfahrten hat Osnabrück mehr als dreimal so viele Fahrradunfälle wie Göttingen.

Übrigens stellen die meisten Fahrradunfallopfer ältere Menschen und Kinder. Gerade sie sind durch die Komplexität von Radwegen einerseits und das Vertrauen auf deren Sicherheit andererseits dort wesentlich stärker gefährdet als andere.

Literatur:

  1. R. Schnüll, J. Lange, I. Fabian, M. Kölle, F. Schütte, D. Alrutz, H.W. Fechtel, J. Stellmacher-Hein, T. Brückner, H. Meyhöfer: Sicherung von Radfahrern an städtischen Knotenpunkten, Bericht der Bundesanstalt für Straßenwesen zum Forschungsprojekt 8952, 1992
  2. W. Angenendt, J. Bader, T. Butz, B. Cieslik , W. Draeger, H. Friese, D. Klöckner, M. Lenssen, M. Wilken: Verkehrssichere Anlage und Gestaltung von Radwegen, Bericht V9 der Bundesanstalt für Straßenwesen, 1993
  3. Bundesminister für Verkehr (Hg.): Forschung Stadtverkehr, Zusammenfassende Auswertung von Forschungsergebnissen zum Radverkehr in der Stadt, Heft A7, 1991
  4. Ole Bach, Ole Rosbach, Else Jørgensen: Cyclestier i byer - den sikkerhedsmæssige effekt, Hg. Vejdirektoratet, Næstved/Dänemark, 1985, auch zu finden in: ADFC Hessen (Hg.): Fahrrad Stadt Verkehr, II. Tagungsband, S. 53-55, Darmstadt 1988
  5. Grüne Radler Berlin (Hg.): Dokumentation "Verkehrsunfälle mit Radfahrern", Berlin 1987
  6. Senator für Verkehr, Erhebungen zum Fahrradverkehr, Berlin 1987
  7. Landeshauptstadt München (Hg.): Bereichsweise Unfalldatenauswertung zur Forschreibung der Radwegeplanung. München 1985
  8. Fahrradwerkstatt Glocksee e.V.: Auswertung von Radverkehrunfällen in Hannover, 1985
  9. Alrutz u.a.: Dokumentation zur Sicherung des Radverkehrs, BASt-FP 8502, Heft 74, Bergisch Gladbach 1989
  10. Apel u.a.: Stadtverkehrsplanung Teil 4 - Verkehrssicherheit im Städtevergleich, Berlin 1988
  11. ADFC Berlin (Hg.): Radzeit, 1/2003, S. 8
  12. Horst Hülsen: Unfälle mit Radfahrern in Bayern, Beratungsstelle für Schadenverhütung (Hg.), Mitteilungen Nr. 33, Köln 1993
  13. P. L. Jacobsen: Safety in numbers: more walkers and bicyclists, safer walking an bicycling, Injury Prevention 2003, 9, p. 205-209

Weitere Quellen:

Anmerkung

Die meisten der oben angeführten Untersuchungen betreffen innerörtliche, straßenbegleitende Radwege. Über außerörtliche Radwege liegen fast keine Ergebnisse vor. Indizen zeigen aber auch hier eine Gefahrenerhöhung. So läßt sich aus den im Untersuchungsbericht Unfälle mit Radfahrern in Bayern genannten Zahlen hochrechnen, daß an jedem Kilometer (bayerischer) Straßen mit außerörtlichen Radwegen dreimal soviele Fahrradunfälle stattfinden, wie an den außerörtlichen Straßen ohne begleitenden Radweg. Zieht man weitere Ergebnisse (z.B. aus [2], [13]) hinzu, die zeigen, daß die Zahl von Fahrradunfällen weitgehend unabhängig von der Verkehrsdichte der Radfahrer konstant bleibt, deutet das auf ein etwa dreifaches Unfallrisiko auf außerörtlichen Straßen mit Radwegen hin.

Gute Radwege brauchen keine Benutzungspflicht.

1999-01-19 (© Bernd Sluka), zuletzt geändert 2014-04-07
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