Angebotsstreifen, auch "Suggestivstreifen", seit der StVO-Novelle von 1997 als "Schutzstreifen" euphemisiert [1], sind der kleine Bruder des Radfahrstreifens.
Hier ist alles eine Nummer kleiner. Sogar die Mindestbreite, die schon auf dem Radfahrstreifen nicht zum ungestörten, sicheren Befahren ausreicht, sinkt beim Schutzstreifen nochmals auf magere 1,25 Meter. Hinzuzurechnen sind dabei auch die Gosse rechts und die gestrichelte Linie (Zeichen 340) links [2], welche den "Schutz" des Schutzstreifens durch vermeindliche Trennung vom Restverkehr bieten soll. Und Mindestmaße werden bekanntlich als Regelmaße verstanden und gebaut, örtlich sogar noch unterschritten.
Hält sich ein Radfahrer an das Rechtsfahrgebot und damit den vorgeschriebenen Mindestabstand von 75 Zentimetern zum Gehweg ein, hängt ein normaler 60-Zentimeter-Lenker nicht nur über der Trennlinie eines üblichen Schutzstreifens, sondern ragt auch noch 10 Zentimeter hinüber in den benachbarten Fahrstreifen.
Ergo fahren viele der Radfahrer, die ohne Schutzstreifen ausreichend Abstand zum Fahrbahnrand einhielten, noch näher am Fahrbahnrand, am Gehweg oder an Parkplätzen entlang als ohne Schutzstreifen. Dies wurde durch Beobachtungen im Rahmen einer Untersuchung [3] im Auftrag der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) bestätigt und als Erfolg begrüßt. Dass sich Radfahrer damit selbst stärker gefährden, weil sie den Sicherheitsabstand nach rechts vernachlässigen, wird ignoriert. Radfahrer werden durch Schutzstreifen dazu angehalten, Übersicht, Reaktionszeit und damit ihren Schutz vor überraschenden Ereignissen von rechts wie Fußgängern, die auf die Fahrbahn treten, Einbiegern, Ausfahrenden aus Grundstücken, aufzugeben.
Neben parkenden Autos kann der durch die Rechtsprechung vorgeschriebene Mindestabstand auf Schutzstreifen überhaupt nicht eingehalten werden. Denn dieser zum Selbstschutz vor dem Öffnen von Fahrzeugtüren einzuhaltende Sicherheitsabstand beträgt einen ganzen Meter; und selbst das wäre bei großen Türen gar nicht ausreichend. Da hilft es wenig, wenn - selten genug - zwischen Schutzstreifen und Parkständen gemäß ERA[4] ein 75-cm-"Sicherheitsstreifen" eingerichtet wurde. Denn den nutzen einige der parkenden Autofahrer und nahezu alle der parkenden Transporter- und Lkw-Fahrer mit. Der Anteil von Unfällen zwischen Radfahrern auf Schutzstreifen und parkenden Fahrzeugen nimmt zu. Dabei macht sich ein fehlernder oder zu schmaler Sicherheitsstreifen zusätzlich risiko- und unfallerhöhend bemerkbar[5].
Die Überholabstände (zwischen Pkw und Radfahrern) sinken mit Schutzstreifen laut BASt angeblich im Mittel nicht. Wobei dieses Ergebnis nicht eindeutig zu klären ist. Denn Vorher-Nachher-Vergleiche werden im Untersuchungsbericht vermieden, obwohl sie Gegenstand der Untersuchung waren und ihrem Vorbericht noch angeführt wurden. Untersuchungen aus der Schweiz [6] belegen dagegen eine Abnahme des Überholabstands als auch des Abstands der Radfahrer zum Fahrbahnrand bzw. Gehweg. Schilderungen von Alltagsradfahrern bezeugen dies; sie werden mit Schutzstreifen häufiger geschnitten.
Mit Schutzstreifen in der Straße wird häufiger trotz des Gegenverkehrs überholt. Die empfundene Sicherheit nimmt ab, besonders, wenn Lkw und Busse in der Straße fahren.
Schutzstreifen verleiten zum illegalen Rechtsüberholen durch Radfahrer, wobei diese dann wiederum die notwendigen Seitenäbstande sowohl zum Überholten, als auch zum Fahrbahnrand oft vernachlässigen.
Schutzstreifen verleiten (wie auch Radfahrstreifen) dazu, wartende Fahrzeuge rechts zu überholen, gerade auch dort, wo dies gefährlich werden kann, vor Ampeln und neben Transportern und Lkw. Zahlreiche schwere Unfälle mit abbiegenden Fahrzeugen sind die Folge.
Umgekehrt sind Radfahrer auf Schutzstreifen zwar sichtbar, werden aber nicht immer wahrgenommen. Viele Fahrzeugführer orientieren sich an der "trennenden" Leitline (vgl. [6]). Radfahrer werden dann am besten wahrgenommen, wenn sie überholt werden müssen. Das erfordert Aktivität vom Fahrzeuglenker, womit die bewusste Wahrnehmung sichergestellt ist. Radfahrer, die auf dem Schutzstreifen daneben fahren, können außerhalb der Wahrnehmung bleiben, was beim Abbiegen für den Radfahrer tödlich sein kann.
Schutzstreifen liegen im Randbereich der Fahrbahn, dort wo sich auch Gullideckel und andere Hindernisse befinden. An ihrem Rand ist die Fahrbahn häufig beschädigt. Im Randbereich lagert sich der von den Fahrzeugen aufgewirbelte Straßendreck ab. Er besteht aus Straßen- und Bremsabrieb sowie durch von den Reifen der Kraftfahrzeuge zermalmten Gegenständen. Bei Nässe bildet er einen rutschigen Schmierfilm. Trockengefahren wird zunächst die Fahrbahn; der Randstreifen bleibt lange nass.
Schutzstreifen lösen kein Problem und schaffen dafür neue. Ob Radfahrer wegen Schutzstreifen auf die Fahrbahn wechseln, darf bezweifelt werden. Nach Beobachtungen hängt dieser Effekt sehr von den örtlichen Umständen ab. Positive Einflüsse auf die Unfallhäufigkeit ließen sich bisher nicht nachweisen. Schmale Schutzstreifen neben Parkstreifen erhöhen die Unfallgefahr.
Schutzstreifen ändern wenig. Sie sind schlichtweg unnötig.
Strittig ist, ob Schutzstreifen von Radfahrern benutzt werden müssen. Der Gesetzgeber vermeidet eine Festlegung, führt aber im Bußgeldkatalog Regelsätze für "Gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen durch Nichtbenutzen eines markierten Schutzstreifens als Radfahrer" auf.
Folgt man dem Gedankengang des Gesetzgebers, dass das Nichtbenutzen einen Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot darstellen würde, muss festgehalten werden, dass ein Radfahrer, der sich an das Rechtsfahrgebot wirklich hält, auf einen Standard-Schutzstreifen gar nicht drauf passt. Wozu dann der Streifen? Am einfachsten sollte man daher so mit Schutzstreifen umgehen, als wären sie gar nicht vorhanden. Neben parkenden Autos dagegen markiert ein Schutzstreifen in der Regel genau den nicht zu befahrenden Bereich (Man stelle sich dort eine schraffierte Sperrfläche vor).
Apropos Rechtsfahrgebot - das gilt für alle Fahrzeuge. Also müssten auch andere Fahrzeuge als Fahrräder in gleicher Weise den Schutzstreifen befahren. Oft tun sie das auch - ganz ohne auf Radfahrer zu achten. Insbesondere einspurige Fahrzeuge, wie Motorräder und -roller, passen sogar in gleicher Weise auf den Schutzstreifen wie Fahrräder. Tatsächlich fahren sie dort in vielen Fällen schon.
[1] | Die Verwendung des Namens erfolgte unter Missachtung seiner bis dahin in der Verkehrplanung gebräuchlichen anderen Bedeutung als schützender Abstandsstreifen zwischen Radwegen und Fahrbahn bzw. Parkstreifen. |
[2] | Streifen an der rechten Seite der Fahrbahn, die nicht mit einer unterbrochenen Linie (Zeichen 340) im Schmalstrich (12,5 Zentimeter) abgetrennt sind, sondern mit Linien im Breitstrich oder mit durchgezogenen Linien, sind keine Schutzstreifen. In der Regel handelt es sich dann um Seitenstreifen, die von Radfahren befahren werden dürfen, aber nicht befahren werden müssen. Wer dort parken will, muss darauf parken. An der Einstufung als Seitenstreifen ändern auch Piktogramme und andere Markierungen des Streifens nichts. Durch ein aufgestelltes Schild "Radfahrer" (Zeichen 237) kann ein Seitenstreifen zum benutzungspflichtigen Radfahrstreifen werden. Weiteres siehe auch Radwege, rechtlich. |
[3] | Bundesanstalt für Straßenwesen, Bericht V 74, Einsatzbereiche von Angebotsstreifen, Ch. Hupfer, H. Böer, U. Huwer, H. Jacob, U. Nagel, Bergisch-Gladbach, 2000 |
[4] | Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, Empfehlungen für Radverkehrsanlagen, Ausgabe 1995 |
[5] | Bundesanstalt für Straßenwesen, Bericht V 184, Unfallrisiko und Regelakzeptanz von Fahrradfahrern, D. Alrutz, W. Bohle, H. Müller, H. Prahlow, U. Hacke, G. Lohmann, Bergisch-Gladbach, Juni 2009 |
[6] | Mobilservice PRAXIS, Praxis-Beispiel KERNFAHRBAHN, Departement Bau, Verkehr und Umwelt, Kanton Aargau, Abteilung Verkehr, Bern, 2005 |
2006-02-18 (© Bernd Sluka)
zuletzt geändert am 2016-06-06
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