An den Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Herrn Reinhard Klimmt Krausenstraße 17--20 10117 Berlin Anhebung der Verwarnungsgelder für Radfahrer Sehr geehrter Herr Klimmt, wie nun mehrfach in der Presse zu hören ("Radwelt" und zuletzt Tagespresse) planen Sie, die Verwarnungsgelder für Verstöße von Radfahrern gegen Vorschriften der StVO zu erhöhen. Wie dabei vorgegangen wird, stellt sich uns jedoch als völlig willkürlich und unwirksam im Sinne der Verkehrssicherheit dar. Strafen --- dazu gehören auch Verwarnungsgelder --- sollten sich an der Gefährlichkeit und Unfallträchtigkeit der begangenen Verkehrsverstöße orientieren. Ihre bisher dargestellten Pläne machen gerade das Gegenteil. Sie beabsichtigen u.a. die bisher im Verwarngeldkatalog mit 10 DM berücksichtige Mißachtung der Benutzungspflicht von Radwegen auf 30 DM anzuheben. Wie zahlreiche Untersuchungen (z.B. [1], [2], [3]) zeigen, sind Radfahrer auf Radwegen unfallgefährdeter als bei Benutzung der Fahrbahn oder zumindest dort nicht sicherer. Wenn Radfahrer auf Radwegen fahren, haben selbst Kraftfahrer keine Vorteile davon, weil sie die häufigsten Unfallgegner der dann vermehrt auftretenden Unfälle stellen (siehe z.B. [1]). Die potentiell unfallvermeidende Nichtbenutzung von Radwegen verstärkt zu bestrafen, dient nicht der Verkehrssicherheit. Es bleibt sogar zu überlegen, ob hierfür nicht eine mündliche Verwarnung ausreicht und ein Verarnungsgeld gegen diesen sicherheitsmäßig unbedeutenden Verstoß gar nicht verhängt werden sollte. Auch die inzwischen in Kraft getretene "Radverkehrsnovelle" der StVO, die beabsichtigt, nur bessere, zumutbare Radwege benutzungspflichtig zu machen, kann keine Begründung dafür liefern. Zum einen läßt sie weiterhin eine ganze Reihe auch extrem gefährlicher Verkehrsführungen auf Radwegen zu (z.B. gemeinsame Fuß- und Radwege in Gefällelagen, unzureichend breite Radwege neben Parkstreifen, auf denen der vorgeschriebene [5] und empfohlene [6] Seitenabstand von mindestens einem Meter zu den parkenden Fahrzeugen nicht eingehalten werden kann). Zum anderen ist sie weitgehend nicht umgesetzt worden; teilweise haben die örtlichen StVB sogar ausdrücklich dagegen verstoßen. Sobald diese Umsetzung größtenteils tatsächlich erfolgt ist und eine Nachuntersuchung gezeigt hat, daß die nun benutzungspflichtigen Radwege tatsächlich ein höheres Sicherheitsniveau bieten, kann über ein erhöhtes Verwarnungsgeld, das Radfahrer auf diese Wege zwingen soll, nachgedacht werden, vorher nicht. Dieselbe Diskrepanz zwischen Anspruch und realem Unfallgeschehen zeigt sich bei der geplanten Erhöhung des Verwarnungsgeldes beim Fahren gegen Einbahnstraßen. Auch dieses Verhalten stellt keine besondere Unfallursache dar, ganz egal ob die Einbahnstraße nun dafür freigegeben wurde oder nicht. Das haben die langjährigen Erfahrungen in zahlreichen Städten (z.B. Saarbrücken [9], Bremen, Passau) und u.a. auch die Unfalluntersuchung von Hülsen ([4], S. 10 und 45) gezeigt. Daß nun gerade dieser Verstoß besonders geahndet werden soll, ist durch nichts fachlich begründet. Tatsächlich nicht oder nur unzureichend bestraft werden zahlreiche gefährliche und unfallträchtige Verkehrsverstöße durch Radfahrer, wie das immer häufiger verbreitete Radfahren auf Gehwegen oder die Mißachtung der Vorfahrt. Hier sollte eine Verwarnungsgeldreform ansetzen. Häufiger und empfindlicher geahndet gehören beispielsweise - das Fahren auf Gehwegen --- auch solchen, die für Radfahren freigegeben wurden --- schneller als mit Schrittgeschwindigkeit, - die Gefährdung von Fußgängern auf Gehwegen und (eventuell mit geringerem Verwarnungsgeld) auf gemeinsamen Fuß- und Radwegen, - das Fahren auf Radwegen in der falschen Richtung und - Vorfahrtsvergehen. Diese stellen auch Hauptunfallursachen dar. Die häufigsten anderen Verunglückten bei von Radfahrern verursachten Unfällen sind Fußgänger [8]. Diese Unfälle werden hauptsächlich auf den Flächen verursacht, auf die Radfahrer zusammen mit Fußgängern geschickt werden (gemeinsame Fuß- und Radwege, freigegebene Gehwege), oder auch auf nicht freigegebenen Fußgängerflächen, die von Radfahrern in zunehmendem Maß befahren werden. Diesem vermehrten Ausweichen von Radfahrern in Fußgängerbereiche und die damit verbundene Einengung, Verdrängung und Gefährdung von Fußgängern sollte deutlich entgegengewirkt werden. Die dazu möglichen Mittel sind Aufklärung, Kontrolle und Strafe. Ebenso stellt das Fahren auf Radwegen in Gegenrichtung, auch wenn diese nicht freigegeben sind, einen häufigen, andere Radfahrer gefährdenden Verstoß dar. Daraus resultieren Unfälle mit schweren Folgen, schwerer als Unfälle im Längsverkehr zwischen Kfz und Fahrrädern (siehe u.a. [4], S. 41). Hier gehen Ihre Absichten den richtigen Weg. Vorfahrtsvergehen letztlich bilden den häufigsten Verkehrsverstoß von Radfahrern, der auch die häufigste Unfallursache darstellt ([7]). In all diesen Fällen könnte durchaus über die bestehenden Höchtsgrenze von 20 DM auf ein neues Niveau von 40 DM hinausgegangen werden. Ihre bisherigen Planungen setzen aber deutlich falsche Signale, indem Sie weitgehend ungefährliche Verstöße stärker ahnden wollen, aber gefährliche Verstöße auf einem harmlosen, niedrigen Strafniveau bleiben und in der Realität (wie beispielsweise das zu schnelle Fahren auf Gehwegen) nahezu überhaupt nicht verfolgt werden. Die Erhöhung der Verwarnungsgelder für das Fahren auf Gehwegen könnte auch der Exekutive, die viel zu häufig selbst Radfahrer auf Gehwege verweist, die damit verbundene Gefährlichkeit verdeutlichen. Letzlich wollen Sie auch die Untergrenze für das Verwarnungsgeld von Radfahrern von 10 auf 20 DM anheben. Sie begründen das mit der Abhebung dieser Strafen von denen für Fußgänger, nachdem die allgemeine Bußgelduntergrenze von 5 auf 10 DM erhöht wurde. Diese Begründung ist aber nicht stichhaltig. Fußgänger verursachen mit 14266 Unfällen [8] fast genausoviele Unfälle wie Radfahrer (17727 Unfälle; Alleinunfälle und Unfälle zwischen Radfahrern zur besseren Vergleichbarkeit herausgenommen, weil dieselben Gruppen bei Fußgängern auch nicht durch die Straßenverkehrsunfallstatistik erfaßt werden). Ein deutlicher Unterschied zu Fußgängern und damit ein Unterschied in den Bußgeldern läßt sich also durch die Unfallstatistik gerade nicht begründen. Wir schlagen daher vor: 1. Falls eine Anhebung der Verwarnungsgeldsätze für notwendig erscheint, so darf sie auf keinen Fall bei ungefährlichen Vergehen wie Nichtbeachtung der Radwegbenutzungspflich oder Fahren gegen die Einbahnstraßenrichtung erfolgen. 2. Sie sollte tatsächlich gefährliche Verstöße, wie die oben angeführten angemessen berücksichtigen. 3. Die Bußgeldobergrenze kann dabei durchaus nach oben und damit auch der allgemeinen Teuerung angepaßt werden. Die Bußgelduntergrenze sollte, genau wie bei den vergleichbaren Fußgängern, bei 10 DM verbleiben. Mit freundlichen Grüßen VCD-Landesvorstand Bayern. Literatur: [1] Ole Bach, Ole Rosbach, Else Jørgensen: Cyclestier i byer - den sikkerhedsmæssige effekt, Hg. Vejdirektoratet, Næstved/Dänemark, 1985, zu finden in Bundesminister für Verkehr (Hg.): Forschung Stadtverkehr, Zusammenfassende Auswertung von Forschungsergebnissen zum Radverkehr in der Stadt, Heft A7, 1991. [2] Sicherung von Radfahrern an städtischen Knotenpunkten, Robert Schnüll, Johannes Lange, Ingo Fabian, Matthias Kölle und Fabian Schütte, Dankmar Alrutz, Hans W. Fechtel, Jörg Stellmacher-Hein, Thomas Brückner, Helga Meyhöfer, Bericht der Bundesanstalt für Straßenwesen Bd. 262, Bergisch Gladbach 1992. [3] Verkehrssichere Anlage und Gestaltung von Radwegen, Wilhelm Angenendt et al, Bergisch Gladbach, Bundesanstalt für Straßenwesen, 1993. [4] Unfälle mit Radfahrern in Bayern, Horst Hülsen, Mitteilungen Nr. 33 der Beratungstelle für Schadenverhütung Köln, HUK Verband, 1993. [5] KG, VersR 1972, 1143, LG Berlin 24.0.4666/95 [6] Bundesanstalt für Straßenwesen im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr: "Sicherheitsinfo Nr. 8: Fahrrad fahren", 3/300M 1193, November 1993, sowie Hamburger Landespolizeidirektion 041: "Fahrrad fahren aber sicher" [7] Werner Draeger, Horst Hahn-Klöckner: "Leichtigkeit, Sicherheit und Akzeptanz von Radverkehrsanlagen" in "Städte- und Gemeindebund" 11/1987, S. 608-616 [8] Statistisches Bundesamt, Fachserie 8, Reihe 7: Verkehrsunfälle 1996 [9] Jürgen Werle: "Radverkehr in Einbahnstraßen. Das Saarbrücker Modell" in "Polizei, Verkehr, Technik" 4/92, S. 104-107